Ein Vierteljahrhundert deutsch-französischer Freundschaft

Über hundert Kiebinger feierten in der Normandie das 25-jährige Bestehen der Partnerschaft zwischen Kiebingen und Lion-sur-Mer.

Lion-sur-Mer ist immer eine Reise wert. Wenn es nur nicht so weit wäre. Zwölf Stunden dauert die Fahrt. Mit zwei Bussen und drei Busfahrern starteten über hundert Kiebinger, vier Gemeinderäte und ein Bürgermeister am frühen Donnerstagmorgen ihre Fahrt in die Normandie. In einem Bus saßen die Tänzerinnen und Tänzer vom Trachtenverein Neckartaler und TSV Kiebingen, im zweiten Bus ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Menschen zwischen fünf und 78 Jahren. Hier saßen Familien, Lokalpolitiker, Freunde von Emma Flambard aus dem Tübinger Jugendclub und die in Stuttgart lebende Barbara Hör. Ein verrosteter Panzer am Ortseingang von Lion-sur-mer erinnert die Besucher daran, dass Deutsche und Franzosen nicht immer Freunde waren. Er erinnert an die Schlacht an den Stränden, die von den Deutschen „Invasion“, von den Franzosen „Debarquement“ und von den Engländern „D-Day“ genannt wird.
Ortsvorsteherin Schröder-Kappus wies in ihrer Rede im Salle de Trianon darauf hin, dass die Einwohner von Lion-sur-mer täglich „mit den Zeichen des vergangenen Krieges und
des Sieges über den Nationalsozialismus“ lebten. „Dass wir Deutsche zufällig im Rahmen
unserer Partnerschaft derart deutlich auf unsere eigene Geschichte verwiesen werden, berührt mich immer wieder“, sagte die Ortsvorsteherin. Geschichte werde lebendig, wenn sie einen Ort
bekommt. Die Partnerschaft zwischen Kiebingen und Lion-sur-mer könne dazu beitragen den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich, sowie den Frieden in Europa zu stabilisieren.

Angefangen hat die Partnerschaft mit einer großen Liebe, die der Tübingerin Emma Haug. Sie erlebte das Kriegsende so: „Ich war 14 Jahre alt, als der Tübinger Oberbürgermeister in der Gaststätte Marquardtei hinter meinem Elternhaus die Stadt an die Franzosen übergab.“ Dann ging Emma Flambard, die „Grand Dame du Jumelage“ Anfang der 1950er Jahre als Au-Pair-Mädchen nach Paris und verliebte sich in den Taxifahrer Henri Flambard. „Damals konnte man als Deutsche in Paris wegen der Feindschaft kurz nach dem Krieg nicht leben. Also sind wir nach der Hochzeit in seinem Heimatort Lion sur Mer gezogen,“ erzählt Emma Flambard. In Lion-sur-mer an der ehemaligen alliierten Landungsküste Sword Beach predigte der Pfarrer von der Kanzel, dass man die Deutsche akzeptieren solle. Manfred Sailer und seine Freunde vom Tübinger Jugendclub besuchten Emma Flambard regelmäßig. Für die Betreuung des Jugendclubs war in den 1960er der Kiebinger Pfarrer Karl Rupp zuständig, der Lion mit dem von ihm gegründeten Pauluschor besuchte.
Aus diesen Besuchen entstand die Partnerschaft- auf Französisch heißt sie Jumelage zwischen Kiebingen und Lion. Für Kiebingen unterzeichnete ihn der damalige Ortsvorsteher Sepp Hör, für Rottenburg der damalige Oberbürgermeister Winfried Löffler und für Lion Maire Rene Demeziere. Sie verpflichteten sich im Verbrüderungseid, der am 8. Oktober 1988 in Lion-sur-mer und am 25. Februar 1989 in Kiebingen unterzeichnet wurde „die ständigen Bande zwischen den Stadtverwaltungen unserer Städte zu bewahren, auf allen Gebieten den Austausch ihrer Einwohner zu unterstützen und durch eine bessere gegenseitige Verständigung das wache Gefühl der europäischen Brüderlichkeit zu fördern.“ Sepp Hör, der 2005 verstarb, blieb nicht nur den Kiebingern , sondern auch den Franzosen in Erinnerung. Lions Bürgermeister Jean-Marc Gilles benannte deshalb am Samstag den Spielplatz hinter dem Rathaus offiziell in „Parc Sepp Hör“. Seiner Tochter Barbara Hör liefen bei der Zeremonie Tränen der Rührung übers Gesicht. Ortsvorsteherin Elisabeth Schröder-Kappus bedankte sich in einer spontan auf Französisch gehaltenen Rede für diese Ehrung ihres Vor-Vorgängers.
Inzwischen sind aus der Partnerschaft Freundschaften entstanden. Der Präsident des Partnerschaftsvereins Jean Vaillant, Emma Flambards Sohn Charlie Flambard und einige andere sind beim Rottenburger Neckarfest als die Männer vom Crepes-Stand an der Mittleren Brücke bekannt. Manche Kiebinger besuchten ihre Gastgeber schon viele Mal. Eine Schülerin nutzte den Aufenthalt um Französisch-Konversation für ihre mündliche Abiturprüfung zu üben. Eine andere Familie war bereits mehrfach mit der alle zwei Jahre stattfindenden Jugendfreizeit in Lion. Andere waren das erste Mal dabei und staunten über die Weite des Strandes und die herzliche Gastfreundschaft. Wer schon mehrfach in Lion-sur-mer war, der wusste dass die deutsch-französische Freundschaft vor allem durch den Magen geht. „Lion ist immer eine Schlemmerei ohne gleichen.“ Denn die französischen Gastgeber tischten keine Mahlzeiten mit weniger als vier Gängen auf. Auf Vorspeisen mit Jakobsmuscheln, Garnelen und Gänseleberpasteten folgte Rinderbraten mit Apfelsoße, eine Auswahl von Käsespezialitäten und zum Dessert Creme brulee. Als Aperitif servierte der Partnerschaftsverein von Lion-sur-mer Cidre mit Cassis-Likör, anschließend beim Essen Wein und kurz vor Mitternacht Champagner.
Das Abendgrogramm gestalteten auch die Kiebinger mit: vier Bläser stimmten deutsche Volksliedern an. Der Trachtenverein Neckartaler mit seinen fünf Paaren und die Mädchentanzgruppe „No Limits“ des TSV Kiebingen tanzten mitten imSaal. Die fünfzehn bis siebzehn Jahre alten TSV - Tänzerinnen hatten einen Showtanz mit einem überdimensionalen Teddybär eingeübt, beim Trachtenverein sorgte vor allem eine Kreiselfigur für Begeisterung beim französischen Publikum. Nach den Vorführungen tanzten Deutsche und Franzosen gemeinsam bretonische Reigentänze. Außerdem füllte sich die Tanzfläche bei Disco und Paartänzen. Auch die Ortsvorsteherin mit ihrem Ehemann Sige, Bürgermeister Thomas Weigel mit Ehefrau Ute und einige Gemeinderäte schwangen das Tanzbein. Wer einen zu vollen Bauch hatte, um sich von seinem Platz zu erheben, der schunkelte zu Seemannsliedern. Manch einem Kiebinger gelang es dank ausgeteilter Liedblätter sogar, in den lautstarken Gesang der französischen Gastgeber mit einzustimmen.
Tagsüber organisierten die französischen Gastgeber ein historisches, touristisches und kommunalpolitisches Programm. Am Freitagmorgen organisierten Stefan Ruge und Stefan Schwab eine Busfahrt ins sechs Kilometer entfernte Fischerdorf Ouistreham. Dort luden die Fischer unter dem Leuchtturm ihre Fänge ab und verkauften sie unter den Wellblech-Dächern des Fischmarkts. An den Verkaufsständen lagen lebendige Hummer mit gefesselten Scheren, Miesmuscheln, Krabben, Garnelen und natürlich auch mehrere Arten von Fisch. Mittags besuchte ein Teil der Gruppe in Caen einen auf einer ehemaligen Mülldeponie angelegten Rosengarten, der andere Teil der Gruppe bekam eine Führung durch eine Kläranlage. „Die Kläranlage in Kiebingen ist zwar viel kleiner, aber technisch fortschrittlicher“, stellte Baubürgermeister Thomas Weigel fest. Weigel tauschte sich auch auf dem Rathaus von Lion-sur-mer mit Maire Jean-Marc Gilles über Städtebau aus. „In Frankreich wird alles zentraler organisiert“, war Weigels Fazit.
In Merville besuchten die Kiebingerinnen und Kiebinger mit ihren Gastgebern einen zum Museum ausgebauten Artilleriebunker und ein dort geparktes Dakota-Transportflugzeug. Ein Spielzeugmodell dieses Propellerflugzeugs schenkten die Franzosen den Kiebingern für ihren Kindergarten. Ortsvorsteherin Elisabeth Schröder-Kappus setzte sich im Ballsaal auf das Flugzeug und testete das Modell auf seine Fahrtauglichkeit. Die Ortsvorsteherin schenkte ihrem Amtskollegen Jean-Marc Gilles als Gastgeschenk eine Skulptur des Kiebinger Bildhauers Ralf Ehmann. „ Es ist eine Gruppe Menschen – gleichberechtigt, einander zugewandt und
doch jeder auf den eigenen Weg – als Zeichen unseres gemeinsamen Weges“ erklärte Schröder-Kappus. Der Präsident des Partnerschaftsvereins Jean Vaillant bekam eine gerahmte Collage mit Bildern der Partnerschaft.
Am Samstagmorgen präsentierten sich die neun bis zwölfjährigen Abgeordneten des Jugendgemeinderats von Lion-sur-mer ihren deutschen Gästen. Sie werden jedes Jahr von den Grundschülern des Ortes gewählt und halten einmal im Monat ihre Sitzungen ab. Der Jugendgemeinderat wird angehört, wenn beispielsweise ein neuer Spielplatz gebaut wird. Er organisiert auch Müllsammelaktionen am Strand und macht einmal im Jahr einen Ausflug ins Parlament nach Paris. Einige Ortschaftsräte überlegten sich, ob es nicht möglich wäre einen Jugendortschaftsrat an der Kiebinger Grundschule zu wählen.
Damit die Kiebinger rechtzeitig abreisen konnten, hatte der Pfarrer von Lion die Messe eigens auf neun Uhr vorverlegt. Im Gottesdienst hielt Emma Flambard eine beeindruckende und emotionale Ansprache über die Partnerschaft zwischen Deutschen und Franzosen. Dann ging es an die Rückreise. Dieses Mal fuhren die Busfahrer über Paris, so dass die Kiebingerinnen und Kiebinger aus den Seitenfenstern die Spitze des Eiffelturms und das Fussballstadion von St. Denis zu sehen bekamen. Der Trachtenverein jedoch hatte offensichtlich vom Feiern noch nicht genug. Auf dem Autobahn-Parkplatz spielten die Trachtler mit dem Akkordeon zur spontanen Polonaise auf. Schon im Februar gibt es für die Kiebinger ein Wiedersehen mit den französischen Freunden. Dann wird das Partnerschaftsjubiläum in der Sülchgauhalle gefeiert und das mitten in der Fasnet,auch beim Butzenball.

04.12.2013 - Verwaltungsstelle Kiebingen


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