Ein Streifzug durch Rottenburgs Geschichte

Zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb liegt die heutige Stadt Rottenburg mitten drin in einer überaus abwechslungsreichen Landschaft, deren Reiz man von verschiedenen Aussichtspunkten, am besten aber von der Weilerburg aus erkunden kann. Die Stadt am Neckar mit ihren 17 Teilorten in der Talaue sowie auf den Höhen links und rechts des Flusses kann auf eine lange historische Entwicklung zurück blicken. Rottenburg am Neckar zählt zu den ältesten Siedlungsplätzen in Baden-Württemberg. Bereits vor dem Entstehen der mittelalterlichen Stadt im 13. Jahrhundert existierten hier bedeutende Siedlungen in jungsteinzeitlicher, keltischer, römischer und frühmittelalterlicher Zeit. Überdies belegen zahlreiche Funde die Anwesenheit von Jägern zu der Zeit des Neandertalers in der Altsteinzeit.
Bodenfunde aus den vormittelalterlichen Epochen, die verstärkt in den letzten Jahren durch zahlreiche archäologische Grabungen erforscht wurden und werden, sind sowohl in der Stadt, im Sumelocenna-Museum (Römisches Stadtmuseum, seit 1992), als auch in den Landesmuseen in Stuttgart und Konstanz zu sehen. Auf die Bedeutung der keltischen Siedlung weist insbesondere ein im Osten der Stadt aufgefundener großer Friedhof mit zahlreichen Grabbeigaben hin.
Kopf einer antiken Statue
Römisch wurde die Siedlung, deren keltischer Name Sumelocenna auf die vorausgegangene Keltensiedlung hinweist, in der Zeit von Kaiser Domitian um 85 / 90 n.Chr. Die durch eine imposante Mauer geschützte, links des Neckars gelegene Siedlung mit einer Fläche von rund 50 ha entwickelte sich zu einem bedeutenden Gemeinwesen in der römischen Provinz Obergermanien. Dabei war Sumelocenna in seiner Frühzeit Verwaltungssitz einer kaiserlichen Domäne (Saltus) und wurde vermutlich um die Mitte des 2. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung Hauptort der gleichnamigen Civitas Sumelocennensis. Nachdem um 260 die Alamannen das Neckargebiet besetzt hatten, blieb die von ihren römischen Bewohnern verlassene Stadt dem Verfall überlassen.
Die frühmittelalterlichen Siedlungsräume befanden sich nicht auf dem Gelände der römischen Stadt, sondern nordöstlich im Bereich von Sülchen und jenseits des Neckars in Ehingen. Dabei war Sülchen der namensgebende Mittelpunkt eines frühmittelalterlichen Bezirks, des Sülchgau, dessen Existenz beispielsweise die Lebensgeschichte des von hier stammenden Heiligen Meinrad (um 800 - 861) belegt. An seinen Herkunftsort erinnert einzig und allein die außerhalb der Stadt gelegene Sülchenkirche.
Urkundensiegel und Statue
Auf dem Ruinen-Gelände der römischen Siedlung entstand im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts die mittelalterliche Gründungs-Stadt Rottenburg. Herren der Stadt waren zur Zeit ihres Auf- und Ausbaues im 13. und 14. Jahrhundert die Grafen von Hohenberg, deren Sitz "Rotenburg", an der Stelle der heutigen "Weilerburg", südöstlich der Stadt lag.
Wie bei anderen Städten ist im Falle Rottenburgs das genaue Datum der Gründung der mittelalterlichen Stadt nicht überliefert. Nach der Angabe einer zeitgenössischen Chronik ließ Graf Albert II. ab 1280 die "neue Stadt (nova civitas) bei Rotenburg" mit Mauern und Neubauten anlegen. Bereits ein Jahrhundert später verkaufte der Urenkel des Stadtgründers, Graf Rudolf III., der letzte seiner Linie, die gesamte Grafschaft Hohenberg im Jahre 1381 an Herzog Leopold III. von Österreich. Mit in diesen Verkauf eingeschlossenen waren auch die umliegenden niederhohenbergischen Dörfer, von denen heute die meisten zur Stadt Rottenburg zählen. Bis 1805/06, also 425 Jahre lang, war die Grafschaft Hohenberg mit ihrem Herrschafts- und Verwaltungsmittelpunkt Rottenburg Teil des habsburgischen Reiches. Diese Grafschaft umfasste im Übrigen neben dem als Niederhohenberg bezeichneten Gebiet um Rottenburg auch Oberhohenberg, den Herrschaftsteil an der oberen Donau, zu dem unter anderem die Orte Fridingen, Spaichingen und die bei Schörzingen gelegene und namensgebende Stammburg gehörten. Im 15. Jh. - von 1454 bis 1482 - residierte Mechthild von der Pfalz im Rottenburger Schloss. Es gibt Hinweise, dass Erzherzogin Mechthild an den Universitätsgründungen in Freiburg (1457 durch Albrecht VI.) und Tübingen (1477 durch ihren Sohn aus erster Ehe, Graf Eberhard im Bart von Württemberg) beteiligt war.
Doppeladler
Bauernkrieg und Reformation bestimmten im 16. Jahrhundert die Entwicklung der Stadt. Während der Reformation, die auch in den städtischen Führungsschichten zahlreiche Anhänger fand, sorgte die österreichische Landesherrschaft durch drakonische Maßnahmen für ein Festhalten am alten Glauben. So wurden hier 1527 zahlreiche Wiedertäufer hingerichtet, unter ihnen Michael und Margarethe Sattler. Die Herrschaftsgrenze zwischen Rottenburg/Österreich und Tübingen/Württemberg bildete fortan zugleich die Konfessionsgrenze. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert wurden Hunderte von Frauen, vereinzelt auch Männer, aus der Stadt und ihrem Umland als Hexen verfolgt. Über einhundertfünfzig Menschen wurden hingerichtet.
Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) hatte die Stadt unter einer furchtbaren Pestepidemie, mehrfachen Einquartierungen, Belagerungen und vor allem unter dem verheerenden Stadtbrand von 1644 zu leiden. Nach 1648 war die Gegenreformation ein bestimmender Faktor in Rottenburg. Der Vorposten des katholischen Österreich, die "Schwanzfeder" am habsburgischen Doppeladler, trennte ja lediglich eine etwa zweistündige Fußreise von Tübingen, der Hochburg altwürttembergisch-protestantischer Theologie.

Das 17. und 18. Jahrhundert war eine Zeit ausgeprägter religiöser Kultur in Rottenburg, in deren Mauern, zum Teil seit Jahrhunderten, die Klöster der Karmeliter (gegründet 1276/81) und Kapuziner (1616/22), die Franziskanerinnen der Oberen Klause (1339/57) und das Chorherrenstift St. Moriz (1330/31) heimisch waren. Die Klöster bestimmten nicht nur das religiöse Leben der Stadt, sondern waren auch bedeutende wirtschaftliche Faktoren. So hatten das östlich Rottenburgs gelegene Paulinerkloster Rohrhalden und das hier zahlreiche Güter besitzende Augustinerkloster Kreuzlingen bei Konstanz große Pfleghöfe in der Stadt. Die wichtigste Rolle spielten im Zeitalter der Gegenreformation freilich die hier seit 1649 ansässigen Jesuiten. Unter ihrer Ägide erlebte die Marienwallfahrt im Weggental ihren Höhepunkt. Die dortige barocke Wallfahrtskirche entstand am Ende des 17. Jahrhunderts nach den Plänen Vorarlberger Baumeister. Nach dem zweiten großen Stadtbrand von 1735 wurden etliche signifikante Gebäude im barocken Stil wiederaufgebaut. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts hatte auch Rottenburg unter den Auswirkungen der Koalitionskriege zu leiden. Zeitweise war jeder vierte "Stadtbewohner" ein Franzose, da zwischen 1792 und 1795 das französische Emigrantenkorps unter Prinz von Condé mehrere Winter hier im Quartier lag.
Gemalte Stadtansicht
Im Zuge der Napoleonischen Gebietsveränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden nicht nur Rottenburg und Niederhohenberg Teil des neuen Königreichs Württemberg (1806), sondern auch die heute zur Stadt gehörenden ritterschaftlichen Dörfer Baisingen und Bieringen. Ebenfalls zu Württemberg kam die Johanniterkommende Hemmendorf und der bereits teilweise zu Württemberg zählende Ort Oberndorf. Lediglich ein heutiger Stadtteil stand bereits seit dem Mittelalter unter der württembergischen Obrigkeit: Eckenweiler.
Die nicht bereits im Zeitalter des Josephinismus aufgelösten Rottenburger Klöster und Stifte wurden noch 1806 aufgehoben. Die Stadt, bislang Verwaltungszentrum des österreichischen Oberamts Hohenberg, wurde 1817 Sitz eines württembergischen Oberamts. Im gleichen Jahr wählte man Rottenburg, damals zweitgrößte katholische Stadt des Königreichs, als Sitz für das katholische Generalvikariat für Württemberg, das die Stuttgarter Regierung samt dem Priesterseminar von Ellwangen hierher verlegte. Die dort bestehende katholische Friedrichs-Universität kam zur gleichen Zeit nach Tübingen. Vier Jahre später wurde das katholische Landesbistum für Württemberg in Rottenburg errichtet, der erste Bischof wurde allerdings erst 1828 inthronisiert.
Rottenburg war noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert "ein Bauern-Städtlein, worin die Bürger sich mit Feldbau ernähren und kein Bürger von seiner Profession allein leben und sich erhalten kann". Infolge des Hopfenbooms begann das Industriezeitalter für Rottenburg erst im letzten Drittel des 19. Jh.s, obwohl die Stadt am Neckar im Jahre 1861 an das württembergische Eisenbahnnetz angeschlossen worden war. Bis zur Jahrhundertwende war Rottenburg ein Zentrum des Hopfenanbaues im Königreich Württemberg.
Hopfenleserinnen
Mit dem Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jh. war die Ära des "grünen Goldes" bereits vorbei. Heute wird auf Rottenburger Markung kein Hopfen mehr angebaut, die letzten Hopfenanlagen wurden in den 1960er Jahren aufgegeben. Ein anderes sogenanntes Handelsgewächs wird hingegen heute noch sorgsam gehegt und gepflegt: der Wein. Bis zum 17. Jh. war der Weinbau eine der wichtigsten Erwerbsquellen der Stadt. Rottenburger Wein wurde damals in zahlreiche Städte Südwestdeutschlands exportiert.

Die kommunale Gebietsreform zwischen 1971 und 1975 veränderte auch die Rottenburger Landkarte grundlegend. Als erste Gemeinden kamen Bad Niedernau, Kiebingen, Weiler und Wurmlingen am 1. Dezember 1971 zu ihrer ehemaligen Kreisstadt. In den folgenden Wochen ging es Schlag auf Schlag: am 1. Januar 1972 wurden Frommenhausen, Hailfingen, Hemmendorf, Obernau, Schwalldorf und Seebronn Teil der Stadt Rottenburg, am 1. Februar folgte Wendelsheim. Mit Bieringen (1. April) war Rottenburg um 12 Stadtteile bereichert und hatte mit 23.600 Einwohnern die "magische Grenze" überschritten: am 1. Juli 1972 konnte die Erhebung zur Großen Kreisstadt gefeiert werden. Am 1. Dezember 1972 kamen die drei Gäuorte Baisingen, Eckenweiler und Ergenzingen zur Stadt Rottenburg und zum Landkreis Tübingen. Oberndorf entschied sich im Frühjahr 1974 für die Eingliederung. Per Gesetz wurde die Eingliederung der Gemeinde Dettingen zum 1. Januar 1975 bestimmt. Mit diesem Tag war die Bildung der neuen Stadt Rottenburg am Neckar abgeschlossen.

Öffentliche und kirchliche Arbeitgeber am Ort sind heute neben großen Industriefirmen im Raum Böblingen/Sindelfingen wichtige Faktoren des Arbeitsmarkts, neue Firmenstandorte ergeben sich durch den neu erschlossenen Gewerbestandort "Ergenzingen-Ost" direkt an der BAB-Ausfahrt Rottenburg. Infolge der im Landesvergleich überdurchschnittlichen Bevölkerungszunahme gibt es neben dem Eugen-Bolz-Gymnasium das St.Meinrad-Gymnasium und das Paul-Klee-Gymnasium. Die Stadt mit rund 42 000 Einwohnern, die heute als modernes Mittelzentrum der Region gilt, ist auch Sitz einer Hochschule für Forstwirtschaft (Schadenweilerhof) und einer Hochschule für Kirchenmusik.


Zusätzliche Informationen und Dienste

Figur am MarktbrunnenSteffen Schlüter / Stadt Rottenburg am Neckar