Volkstrauertag 2020

Liebe Bürger*innen,

am Sonntag, 15. November 2020 ist Volkstrauertag. Um diesem wichtigen Tag in Zeiten der Pandemie trotzdem gerecht zu werden, wird die Kranzniederlegung am Sonntagmorgen ohne feierlichen Rahmen stattfinden. Meine Gedenkrede wird hier auf der örtlichen Homepage, im Mitteilungsblatt und auch am Kriegerdenkmal auf dem Kirchplatz ausgelegt sein.
Wir sagen Danke dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und all jenen Menschen, die ihn aktiv unterstützen.
Unser Dank gilt aber auch unseren Soldat*innen, den Reservist*innen und allen anderen, die sich in irgendeiner Form für den Frieden engagieren.

Sabine Kircher
Ortsvorsteherin


Liebe Bürger*innen,
das Ende des 2. Weltkriegs ist 75 Jahre her. Für uns hat der Krieg einen festen Rahmen aus den Jahreszahlen 1939 – 1945. Danach kam der Frieden, in dem wir, in den westlichen Demokratien, relativ gut leben.
Kriegsende ist ein tröstliches Wort. Der Krieg ist zum Ende gekommen, als sei er eine Jahreszeit, unsere Sprache beschreibt den Krieg ein wenig wie ein Naturereignis.
Der Krieg bricht aus.
Aber kein Krieg bricht aus wie ein Vulkan oder Fieber. Menschen verantworten den Krieg, und die Kapitulation des „Dritten Reichs“ war Voraussetzung für den Aufbruch in die Neuordnung unter den Leitsternen Demokratie und Menschenrecht.
„Unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte.“ Heinrich Heine (1797 – 1856), deutscher Dichter
Dieser Satz stammt von Heinrich Heine. Unter jedem Grabstein eine ganze Welt. – Das stimmt für die Menschen, die das Glück hatten, nach einem langen Leben zu sterben. Heute gedenken wir aber jener, die nicht alt starben, die ihr Leben noch nicht gelebt hatten. Wir gedenken der Menschen, die im Krieg starben, die Opfer des Krieges wurden. Unter jedem Grabstein – wenn Sie denn einen Grabstein haben – eine ganze Welt? – Nein, wohl eher Träume, Wünsche, Ziele. Unter jedem Grabstein ein ungelebtes Leben.
Ein vermeidbarer Tod!
Am Volkstrauertag gedenken wir der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft aller Völker und Nationen. Gerade heute wo rechte Kräfte die dunklen Seiten der Deutschen Geschichte nur allzu gerne relativieren wollen, ist es wichtig sich zu erinnern.
Die beiden Weltkriege und die menschenverachtende Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten liegen inzwischen Jahrzehnte zurück. Aber ihre Schatten sind lang. Die Spuren, die sie hinterlassen haben, prägen noch heute viele Familien – auch hier in Hailfingen. In den Erzählungen von Verlust und Todesgefahr, von Flucht und Vertreibung sind die Schrecknisse auch nach so langer Zeit präsent, wie es sicherlich viele von uns aus persönlichen Begegnungen erleben.
Und auch in den Menschen selbst wirkt das Erlebte nach. Viele aus der Generation der damaligen Kriegskinder haben seelische Narben davongetragen, mit denen sie, bewusst oder unbewusst, bis heute kämpfen.
Umso wichtiger ist es, miteinander darüber zu reden, was mörderische Kriege - nicht nur äußerlich sichtbar – mit den Menschen anrichten. Der heutige Volkstrauertag ist ein guter Anlass, um diesen Faden aufzunehmen. Um zum Beispiel die Mutter, den Vater, die Groß- oder Urgroßeltern zu fragen: Wie war das damals? Was habt ihr empfunden? Was macht euch heute Angst? Noch gibt es sie, die Zeitzeugen im Familien- und Freundeskreis, die aus erster Hand vom Leid des letzten Weltkriegs erzählen können. Nutzen wir also die Gelegenheit, sprechen wir miteinander über das, was war.
Auch wenn hier bei uns in Deutschland und in weiten Teilen Europas seit 75 Jahren Frieden herrscht: Die Welt ist alles andere als ein friedlicher Ort. Im Gegenteil: Tod und Terror sind mehr denn je bittere Realität. Im Nahen Osten, in Afrika und Asien toben schreckliche Kämpfe, es werden Menschenrechte mit Füßen getreten, es sterben Menschen – in jedem Moment.
Gewalt und Unterdrückung haben weltweit eine beispiellose Flüchtlingsbewegung in Gang gesetzt. Mehr als 65 Millionen Menschen sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR auf der Flucht – so viele wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit.
Europaskepsis, Abschottungspolitik und Nationalismus greifen in vielen EU Staaten Raum. Ein Klima, in dem Populisten leichtes Spiel haben und in dem – wie wir aus eigener leidvoller Geschichte wissen – auch rasch Extremismus und Gewalt gedeihen.
All diese Entwicklungen zeigen: Frieden in Europa ist im 21. Jahrhundert ein höchst zerbrechliches Gut. Ihn zu wahren und zu verteidigen, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Der Volkstrauertag soll uns eine eindringliche Mahnung sein:
Lassen wir nicht zu, dass Gewalt oder gar Krieg jemals wieder Mittel der politischen Auseinandersetzung werden!
„Wir bewahren den Opfern vor allem dann ein ehrendes Gedenken, wenn wir uns die Lehren, die Europa aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gezogen hat, immer wieder bewusst machen.“
„Wer sich dazu herablässt, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal.“
Und genau deshalb sind die Bereitschaft zur Erinnerung und die daraus resultierende Bereitschaft von Verantwortung eine Bürgerpflicht. Nehmen wir diese Pflicht ernst.
Lassen Sie uns Gedenken, aber nicht im Schweigen verharren. Lassen Sie uns vielmehr hartnäckig darin sein, immer wieder miteinander zu reden. Auch und gerade mit den Widersachern unserer friedlichen, offenen Gesellschaft – auch und gerade am Volkstrauertag. Treten wir auch aktiv denjenigen entgegen, die das Gedankengut und die menschenverachtende Sprache des 3. Reiches hier wieder salonfähig machen wollen. Das können wir nicht zulassen!
Als Zeichen unseres Gedenkens haben wir das Ehrenmal der Gefallenen unseres Ortes mit einem Kranz geschmückt.

Totengedenken:

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken,

der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,

die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,

die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft leisteten, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.


Wir trauern,

um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken,

auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

Wir trauern,

mit allen, die Leid tragen, um die Toten, und teilen ihren Schmerz.
Doch unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt.

Sabine Kircher
Ortsvorsteherin
12.11.2020 - Verwaltungsstelle Hailfingen


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